Heute ist Sylvester, das Ende des Jahres und allerorts wird einem „ein guter Rutsch“ und „ein glückliches neues Jahr“ gewünscht.
Das ist toll, das ist positiv, ich finde es auch wunderbar, wenn sich fremde Menschen wahrnehmen und sich gegenseitig Gutes wünschen (und manchmal auch tun).
Was aber bei all dem Rummel um Weihnachten und Neujahr zu kurz kommt, sind – Geschichten vom Scheitern. Es ist generell eine Krankheit unserer Gesellschaft: Friede, Glück, Harmonie und vor allem: Glückliche Enden.
Ja, es geht alles gut aus, andere Geschichten wollen wir nicht hören oder sehen. Probleme darf es geben, aber schlecht ausgehen sollten sie nie. „Probleme sind dazu da, um überwunden zu werden“. Wir müssen „daran wachsen“. Es muss alles „seinen Sinn haben“. Scheitern hat keinen Platz, Verlieren gilt nicht, Sinnlosigkeit erst recht nicht.
Ich finde aber, dass Scheitern seinen Platz haben muss. Es ist legitim, zu verlieren. Sich schlecht zu fühlen. Es geht nicht alles gut aus. Es gibt schlimme, dramatische, furchtbare Dinge auf dieser Welt und sie zur Seite zu schieben ist nur eins: Verdrängung.
Mancher wird auf das letzte Jahr oder auch ein Leben zurückblicken und feststellen: Ich bin gescheiertert. hier, hier und hier. Und das ist in Ordnung. Es ist kein Grund, sich zu verstecken. Scheitern gehört zum Leben und oft genug auch zum Lebensende.
Es gibt nicht viele Geschichten vom Scheitern: Aber die, die es gibt, sind umso eindringlicher.
Hier also meine Liste mit Geschichten vom Scheitern:
1. Der Tannenbaum von Hans Christian Andersen. In der Weihnachtszeit immer wieder als „besinnliche Weihnachtsgeschichte“ erzählt, ist die kleine Geschichte eigentlich eine wuchtige Parabel aufs menschliche Leben: Der kleine Tannenbaum denkt nur ans Größerwerden und Wachsen, ohne zu bemerken, ob er glücklich ist oder nicht. Er hat Lebensträume und als der größte davon in Erfüllung geht, ist er eigentlich eine Enttäuschung. Danach kommt nur noch wenig. Anfang, Leben und Ende erzählt Andersen auf seine typische, durchaus schonungslose Art und Weise: „Draußen im Walde stand ein niedlicher, kleiner Tannenbaum; er hatte einen guten Platz, Sonne konnte er bekommen, Luft war genug da, und ringsumher wuchsen viel größere Kameraden, sowohl Tannen als Fichten. (…) Die Knaben spielten im Garten, und der Kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen hatte. Nun war der vorbei, und mit dem Baum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei. Und so geht es mit allen Geschichten!“
2. Country Strong: Countrystar Kelly Canter ist in einer Entziehungsklinik. Während einem Konzert ist sie schwanger, betrunken, voller Medikamente von der Bühne gefallen. Einziger Lichtblick: Ihr Pfleger „Beau“, der ebenfalls Countrymusik spielt. Kellys Ehemann und Manager James will den Verfall seiner Frau nicht wahrhaben, er verdrängt das traumatische Erlebnis und versucht, alles wie früher laufen zu lassen – gleichzeitig aber stößt er Kelly zurück, die Ehe ist am Ende. Dazu kommt noch die junge Chiles Stanton, „Country-Barbie“ und Vorgruppe für Kellys Comeback-Tournee. Die 4 (andere Darsteller gibt es nur sehr am Rande), fahren gemeinsam auf Tour, alle versehrt und ohne die Vergangenheit abstreifen zu können. Zwischendurch gibt es immer wieder Momente des Glücks und der Hoffnung, die auf ein Happy End hinzuarbeiten scheinen. Aber Country Strong ist genau deswegen so stark, weil sich der Fim dem verweigert, weil er realistisch bleibt und schonungslos. Das Vögelchen „Loretta Lynn“, das Kelly im Wald der Klinik gefunden hat und um das sie sich zunächst aufopferungsvoll kümmert, bis James es ihr wegnimmt und schließlich wiedergibt, wird zum Symbol für Kellys und James Liebesgeschichte, die gescheitert ist, wie auch ihr Leben.
3. The broken Circle: Die Geschichte eines unkonventionellen Paars, das alles hat, familiäres Glück, Liebe, beruflichen Erfolg und schließlich alles verliert, weil der Tod der Tochter eine Kluft zwischen den beiden aufreißt, die sie nicht mehr überwinden können. Er erzählt von der Zerbrechlichkeit menschlichen Glücks, wie ein einzelnes schlimmes Ereignis die Gefühle und das Leben völlig durcheinanderwirft und umkehrt. Der Film hat (Spoiler!) theoretisch ein Happy End, die Hochzeit, weil er nicht zeitlich linear erzählt sondern Momente vergangenen Glücks und Momente der Zerrüttung mischt. Dieses „Happy End“ allerdings ist im Kontext der Ereignisse ein „Unhappy End“, eigentlich der Anfang vom Ende. Der Film bezieht seine Kraft daraus, dass er eigentlich unspektakulär ist, eine Alltagsgeschichte und dennoch kaum erträglich aufzeigt wie wenig eigentlich es benötigt, um Sicherheiten völlig und unwiederbringlich zu zerstören. „Breakdown“ ist der Untertitel des Films und das trifft es völlig.
4. Edelweißpiraten: Karl und seine Freunde sind Mitglieder der alternativen Jugendbewegung Edelweißpiraten. Sie träumen von einer besseren Welt, von Liebe, Freiheit, Jazz und einem Leben nach dem Krieg. Auf ihren Streifzügen durchs zerbombte Köln finden sie den ausgebrochenen Häftling Hans (Bela B. von den Ärzten) und beschließen, ihn zu verstecken. Gemeinsam mit Hans politisieren sie sich noch mehr und leisten Widerstand im Kleinen. Ihnen schließt sich auch der zunächst begeisterte Hitlerjunge Peter, Karls Bruder, an. Schließlich wird die Gestapo auf die Edelweißpiraten und den entlaufenen Hans aufmerksam und schlägt zu.
Achtung, der Film zeigt die Alltagwelt im späten Nazi-Deutschland absolut schonungslos bis zu den fast banal-schrecklichen Szenen in den Gestapo-Folterkellern und ist insofern absolut einzigartig. Nichts für zarte Gemüter!
So, das war es erst einmal von mir für heute und für dieses Jahr. Trotzdem wünsche ich euch allen ein wunderbares neues Jahr und wenn ihr hier und da scheitert, Dinge nicht so laufen, wie sie sollen: Es ist normal, so ist das Leben. Traurig und wunderbar und schrecklich und schön. Voller Hass und voller Liebe, sinnvoll und sinnlos.