Unhappy ending – Geschichten vom Scheitern

Heute ist Sylvester, das Ende des Jahres und allerorts wird einem „ein guter Rutsch“ und „ein glückliches neues Jahr“ gewünscht.

Das ist toll, das ist positiv, ich finde es auch wunderbar, wenn sich fremde Menschen wahrnehmen und sich gegenseitig  Gutes wünschen (und manchmal auch tun).

Was aber bei all dem Rummel um Weihnachten und Neujahr zu kurz kommt, sind – Geschichten vom Scheitern. Es ist generell eine Krankheit unserer Gesellschaft: Friede, Glück, Harmonie und vor allem: Glückliche Enden.

Ja, es geht alles gut aus, andere Geschichten wollen wir nicht hören oder sehen. Probleme darf es geben, aber schlecht ausgehen sollten sie nie. „Probleme sind dazu da, um überwunden zu werden“. Wir müssen „daran wachsen“. Es muss alles „seinen Sinn haben“. Scheitern hat keinen Platz, Verlieren gilt nicht, Sinnlosigkeit erst recht nicht.

Ich finde aber, dass Scheitern seinen Platz haben muss. Es ist legitim, zu verlieren. Sich schlecht zu fühlen. Es geht nicht alles gut aus. Es gibt schlimme, dramatische, furchtbare Dinge auf dieser Welt und sie zur Seite zu schieben ist nur eins: Verdrängung.

Mancher wird auf das letzte Jahr oder auch ein Leben zurückblicken und feststellen: Ich bin gescheiertert. hier, hier und hier. Und das ist in Ordnung. Es ist kein Grund, sich zu verstecken. Scheitern gehört zum Leben und oft genug auch zum Lebensende.

Es gibt nicht viele Geschichten vom Scheitern: Aber die, die es gibt, sind umso eindringlicher.

Hier also meine Liste mit Geschichten vom Scheitern:

1. Der Tannenbaum von Hans Christian Andersen. In der Weihnachtszeit immer wieder als „besinnliche Weihnachtsgeschichte“ erzählt, ist die kleine Geschichte eigentlich eine wuchtige Parabel aufs menschliche Leben: Der kleine Tannenbaum denkt nur ans Größerwerden und Wachsen, ohne zu bemerken, ob er glücklich ist oder nicht. Er hat Lebensträume und als der größte davon in Erfüllung geht, ist er eigentlich eine Enttäuschung. Danach kommt nur noch wenig. Anfang, Leben und Ende erzählt Andersen auf seine typische, durchaus schonungslose Art und Weise: „Draußen im Walde stand ein niedlicher, kleiner Tannenbaum; er hatte einen guten Platz, Sonne konnte er bekommen, Luft war genug da, und ringsumher wuchsen viel größere Kameraden, sowohl Tannen als Fichten. (…) Die Knaben spielten im Garten, und der Kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen hatte. Nun war der vorbei, und mit dem Baum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei. Und so geht es mit allen Geschichten!“

2. Country Strong: Countrystar Kelly Canter ist in einer Entziehungsklinik. Während einem Konzert ist sie schwanger, betrunken, voller Medikamente von der Bühne gefallen. Einziger Lichtblick: Ihr Pfleger „Beau“, der ebenfalls Countrymusik spielt. Kellys Ehemann und Manager James will den Verfall seiner Frau nicht wahrhaben, er verdrängt das traumatische Erlebnis und versucht, alles wie früher laufen zu lassen – gleichzeitig aber stößt er Kelly zurück, die Ehe ist am Ende. Dazu kommt noch die junge Chiles Stanton, „Country-Barbie“ und Vorgruppe für Kellys Comeback-Tournee. Die 4 (andere Darsteller gibt es nur sehr am Rande), fahren gemeinsam auf Tour, alle versehrt und ohne die Vergangenheit abstreifen zu können. Zwischendurch gibt es immer wieder Momente des Glücks und der Hoffnung, die auf ein Happy End hinzuarbeiten scheinen. Aber Country Strong ist genau deswegen so stark, weil sich der Fim dem verweigert, weil er realistisch bleibt und  schonungslos. Das Vögelchen „Loretta Lynn“, das Kelly im Wald der Klinik gefunden hat und um das sie sich zunächst aufopferungsvoll kümmert, bis James es ihr wegnimmt und schließlich wiedergibt, wird zum Symbol für Kellys und James Liebesgeschichte, die gescheitert ist, wie auch ihr Leben.

3. The broken Circle: Die Geschichte eines unkonventionellen Paars, das alles hat, familiäres Glück, Liebe, beruflichen Erfolg und schließlich alles verliert, weil der Tod der Tochter eine Kluft zwischen den beiden aufreißt, die sie nicht mehr überwinden können. Er erzählt von der Zerbrechlichkeit menschlichen Glücks, wie ein einzelnes schlimmes Ereignis die Gefühle und das Leben völlig durcheinanderwirft und umkehrt. Der Film hat (Spoiler!) theoretisch ein Happy End, die Hochzeit, weil er nicht zeitlich linear erzählt sondern Momente vergangenen Glücks und Momente der Zerrüttung mischt. Dieses „Happy End“ allerdings ist im Kontext der Ereignisse ein „Unhappy End“, eigentlich der Anfang vom Ende. Der Film bezieht seine Kraft daraus, dass er eigentlich unspektakulär ist, eine Alltagsgeschichte und dennoch kaum erträglich aufzeigt wie wenig eigentlich es benötigt, um Sicherheiten völlig und unwiederbringlich zu zerstören. „Breakdown“ ist der Untertitel des Films und das trifft es völlig.

4. Edelweißpiraten: Karl und seine Freunde sind Mitglieder der alternativen Jugendbewegung Edelweißpiraten. Sie träumen von einer besseren Welt, von Liebe, Freiheit, Jazz und einem Leben nach dem Krieg. Auf ihren Streifzügen durchs zerbombte Köln finden sie den ausgebrochenen Häftling Hans (Bela B. von den Ärzten) und beschließen, ihn zu verstecken. Gemeinsam mit Hans politisieren sie sich noch mehr und leisten Widerstand im Kleinen. Ihnen schließt sich auch der zunächst begeisterte Hitlerjunge Peter, Karls Bruder, an. Schließlich wird die Gestapo auf die Edelweißpiraten und den entlaufenen Hans aufmerksam und schlägt zu.

Achtung, der Film zeigt die Alltagwelt im späten Nazi-Deutschland absolut schonungslos bis zu den fast banal-schrecklichen Szenen in den Gestapo-Folterkellern und ist insofern absolut einzigartig. Nichts für zarte Gemüter!

So, das war es erst einmal von mir für heute und für dieses Jahr. Trotzdem wünsche ich euch allen ein wunderbares neues Jahr und wenn ihr hier und da scheitert, Dinge nicht so laufen, wie sie sollen: Es ist normal, so ist das Leben. Traurig und wunderbar und schrecklich und schön. Voller Hass und voller Liebe, sinnvoll und sinnlos.

 

Wer kümmert sich ums Kind? Und was, wenn Muttern ausfällt?

Vor einigen Tagen las ich zwei wunderbare Artikel von „Das Nuf“. Eine Parodie zum aktuellen Spiegelthema („Sind Väter die besseren Mütter?“) sowie zu „Maternal Gatekeeping“.
Und das brachte mich ins Grübeln. Denn vor ein paar Tagen war ich völlig heiser, keine Stimme mehr. Mein bester Ehemann von allen sollte einen Arzttermin für eins unserer Kinder vereinbaren. Am Telefon stellte sich heraus: Er konnte es nicht. Ich musste mich neben ihm stellen und „Ja“, „Nein“, „keine Ferien mehr“ oder „ist bei ihm kein Problem“, auf ein Zettelchen schreiben. So dass eigentlich ich den Termin vereinbarte und er mir nur seine Stimme lieh.


Denn:
Er kennt weder den Stundenplan noch weiß er um die Ferienzeiten, noch um die Nachmittagstermine, obwohl all dies auf unserer Pinnwand zu finden ist. Auch kennt er offenbar, ich war selbst erstaunt, die Eigenarten der Kinder beim Arztbesuch gar nicht.

All dies hätte ich, hätte mich zuvor jemand danach gefragt, weit von uns gewiesen. Dennoch ist es so.


Dann dachte ich an meinen Krankenhausaufenthalt von 3 Tagen letztes Jahr.

3 Tage die kaum zu organisieren gewesen waren, in den Tagen davor jonglierte ich mühsam mit Großeltern, Freundinnen und Babysittern. 3 Tage!
Länger als ein paar Stunden allein mit dem Papa war nur eins der Kinder und auch da stand ein Krankenhausaufenthalt im Hintergrund (Papa mit Kind im Krankenhaus, weil kleines Still-Baby daheim). Während auf der anderen Seite alle Kinder bereits wochenlang alleine mit mir waren.


Und das wiederum führte mich zu der durchaus erschreckenden Erkenntnis, dass ich es mir schlicht nicht leisten könnte, umzukippen und für, sagen wir mal, zwei Wochen auszufallen.


Wie konnte es so weit kommen? Das wiederum Erschreckende ist: Ich kann es nicht mal sagen.

Mein Mann hat sich immer freiwillig viel in Kinderbetreuung und Haushalt engagiert. Ich war nie eine Gatekeeping-Mutter (obwohl ich das Wort schrecklich finde), und das Einzige von dem ich überzeugt war, es besser zu können als er, war das Stillen.
Es muss sich irgendwie über die Jahre eingeschlichen haben, ohne dass wir beide das irgendwie aktiv forciert oder gemerkt hätten. Und jetzt ist es schwer wieder zu ändern.


Vermutlich stehen solche eher unbewussten Prozesse bei traditioneller Rollenverteilung immer im Hintergrund. Man kennt es so schon von den Eltern. Das wurde immer schon so gemacht. Elternzeit wegen Stillen nimmt Sie. Das Kind hat sich mehr an die Mutter gewöhnt. Und irgendwann hat man ein traditionelles Rollenmodell, das man so nie wollte.

Weihnachten ohne Christkind?

Ein weihnachtliches Thema passend zum Fest, aber mit durchaus Diskussionspotential (eure Meinung dazu interessiert mich wie immer).

Es wird ja alle Jahre wieder bedauert, wie sehr Weihnachten zum bloßen Konsumfest im schlechtesten Falle und zum bloßen „Ich treffe meine Familie“-Fest im besten Falle verkommen wäre.

Und klar, da ist viel Wahres dran. Weihnachten wird mittlerweile weltweit gefeiert und mit seinem ursprünglichen Sinn, der Geburt von Jesus Christus und in unserem (also dem christlichen) Verständnis Gottes Sohn und damit dem zweitwichtigsten christlichen Fest hat das meiste davon wenig zu tun. Weder die WeihnachtsmannundElfen-Konsumwelten in amerikanischen Kaufhäusern, noch die romantische Paarversion in Japan, oder die teils kitschige Wintermärchen-Christkindlmarkt-Romantik in Österreich und Deutschland und nicht einmal die zahlreichen Weihnachtsfilme im TV.

Zur Kirche gehen die meisten (die überhaupt gehen) allenfalls noch aus Nostalgie, um ein paar Tränchen zu verdrücken und weil „man da so schön Stille Nacht mit allen Leuten vor dem großen Christbaum“ singen kann. Im Volksmund heißt dieses Phänomen O(h)We(h)-Christen (Ostern-Weihnachten-Christen)

Ich muss sagen, ich bin in der Frage trotzdem etwas zwiegespalten. Denn klar, ich bin Christin und die Reduktion dieses wichtigen christlichen Festes auf Konsum und Essen und bisschen Urlaub, dazu vielleicht noch ein paar besinnliche Tränchen in der Kirche beim Singen als Dreingabe, das alles schmeckt mir nicht so besonders.

Auf der anderen Seite aber denke ich mir dann immer wieder mal „Hey, warum denn so negativ? Weihnachten, DER Exportschlager des Christentums und irgendwie auch ein Fest weltweiter Toleranz und Harmonie“.

In der Schule und im Kindergarten basteln Kinder von Atheisten, christliche, muslimische, buddhistische Kinder in wunderbarer Eintracht Sterne, Glocken und Engel und singen Weihnachtslieder, man trifft sich im Kollegenkreis zur Weihnachtsfeier. Nachbarn, die sonst kaum ein Wort miteinander wechseln, beschenken sich, in der Kirche sieht man endlich mal wieder andere Gesichter als die ewig gleichen Nasen 🙂 (nix gegen die, aber es ist doch schön) und vielleicht denkt doch der ein oder andere zwischen Glühwein und Plätzchen an den Sinn des Festes. Immerhin hört man recht häufig die Weihnachtsgeschichte, ist konfrontiert mit der eigentlich unglamourösen und armen Geburt Gottes in einem kleinen Stall in einer kleinen, unwichtigen Stadt, deren Zeuge ein paar arme Hirten wurden und man kommt vielleicht ins Grübeln. Nächstenliebe steht irgendwie doch hoch im Kurs – zumindest steigt die Spendenbereitschaft nach wie vor enorm an.

Man denkt an Familie und Freunde und was sie einem bedeuten, trotz allem Stress.

Will man negativ sein, kann man das selbstverständlich unter „scheinheilig“ und „toll, sonst nie, aber da …“ verbuchen, aber hey, wenigstens einmal im Jahr hat das alles Platz. Warum also nicht?

In diesem Sinne wünsche ich allen meinen Lesern ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!

 

 

Die Situation für Frauen in Saudi-Arabien

Man lernt ja so einiges auf maskulistischen Seiten. Gerade erst wieder, dass die Situation in Saudi-Arabien doch gar nicht so schlimm für Frauen ist, wie man gemeinhin so dachte ^^.

Denn:

„Männer üben Macht über Frauen aus, Frauen über Frauen, Frauen über Männer und Männer über Männer. Das nennt sich gesellschaftliche Konventionen, die vom Großteil eines Kulturkreises getragen werden und für beide Seiten Einschränkungen, aber auch Privilegien bieten. Die Kritik an solchen Konventionen mit der vorgeblichen Macht einer Teilgruppe zu begründen ist absurd.“ (HansG auf geschlechterallerlei)

Frauen seien  in Saudi-Arabien keinesfalls rechtlos, denn „In Saudi-Arabien wurden gerade erst mindestens vier Frauen in Regionalparlamente gewählt.“

Na dann ist ja alles in Butter, oder?

Und sooooo schlimm ist es doch eigentlich gar nicht „Auch wenn es dort genug zu kritisieren gibt muss man deshalb noch lange nicht so schamlos übertreiben.“

Betrachten wir uns doch einfach mal die rechtliche Situation in Saudi-Arabien:

Dort gibt es bis heute die bis Ende des 19. Jahrhunderts auch in Europa übliche „Geschlechtsvormundschaft“ – allerdings unter verschärften Bedingungen. Jede Frau, egal welchen Alters und welchen Familienstandes, benötigt dort einen männlichen Vormund, nämlich jemanden, der so eng mit ihr verwandt ist, dass sie ihn nicht heiraten kann bzw. ihren Ehemann (mahram). Üblicherweise ist dies der Vater und später der Ehemann. Gibt es keinen Ehemann oder ist dieser bereits tot, fällt die Vormundschaft an einen anderen engen männlichen Verwandten, z. B. den Sohn der Frau. Was dann konkret bedeutet, dass der Sohn der Vormund der Person ist, die ihn aufgezogen hat, eine Konstellation, die in Europa nur bei Fällen von schwerer Demenz oder Geisteskrankheit möglich ist.

Dieser Vormund fällt die Entscheidung über alle Belange der Frau: Ob sie reisen darf, ob sie einen Pass besitzen darf, ob und wohin sie zur Schule oder zur Universität gehen darf, ob und bei wem sie sich ärztlich behandeln lassen darf.

Verträge aller Art dürfen so und so nur mit Einwilligung des Vormundes getätigt werden, sogar Handyverträge.

Gerade die ärztliche Versorgung ist extremst problematisch, weil in Notfällen viele Frauen nicht von Männern versorgt werden dürfen, weibliche Ärzte und Sanitäter aber nicht im öffentlichen Raum sondern nur in speziellen geschützen Räumen z. B. in bestimmten Frauen-Bereichen von Krankenhäusern arbeiten dürfen. Dies führt immer wieder zum eigentlich vermeidbaren Tod weiblicher Notfallpatienten.

Frauen haben nur mit Zustimmung ihres Ehemannes die Möglichkeit, das Haus zu verlassen, denn Autofahren dürfen sie nicht (es wird ihnen kein Führerschein ausgestellt), Radfahren selbstredend nicht, unter fremden, also nichtverwandten, Männern sein ebenso nicht (Taxis sind theoretisch möglich, aber wegen der Einschränkung des Zusammenseins mit nicht-verandten Männern eigentlich doch wieder nicht). Allenfalls zum Einkaufen und dann unter Begleitung können sie sich halbwegs „frei“ im öffentlichen Raum bewegen, selbstverständlich verschleiert (gilt nicht für Frauen aus dem Ausland). Sie sind auf spezielle „Frauenräume“ (Frauenuniversität o. ä.) angewiesen, um sich außerhalb des eigenen Hauses bewegen zu dürfen.

Über Belange ihrer Kinder dürfen Mütter nicht entscheiden, Vormund der Kinder ist alleine der Vater.

Ob und inwieweit sie sich am öffentlichen Leben beteiligen dürfen und beispielsweise arbeiten oder eben auch (siehe Beispiel oben) sich politisch engagieren, entscheidet alleine ihr mahram, also ihr männlicher Vormund.

Unter diesen Vorzeichen schlage ich die Aussage „Männer üben Macht über Frauen aus, Frauen über Frauen, Frauen über Männer und Männer über Männer. Das nennt sich gesellschaftliche Konventionen, die vom Großteil eines Kulturkreises getragen werden und für beide Seiten Einschränkungen, aber auch Privilegien bieten. Die Kritik an solchen Konventionen mit der vorgeblichen Macht einer Teilgruppe zu begründen ist absurd“ für den Euphemismus des Jahres vor.

 

Zum Einstieg:

Krank in Saudi-Arabien

Was es bedeutet, unter Vormundschaft zu stehen

Frauen in Saudi Arabien

 

Spezialisierung verboten!? Nachtrag

Nachdem mir gestern zum wiederholten Male erklärt wurde, der Maskulismus würde, anders als der Feminismus, nicht zwischen männlich und weiblich differenzieren, sondern bezöge sich, wiederum anders als der Feminismus, nur auf Menschen und folglich wäre eine Spezialisierung auf weibliche Problematiken nur im Zusammenhang von Geburt/Schwangerschaft sinnvoll, las ich gestern auf allesevolution und fand dort einen höchst aufschlussreichen Fragebogen beantwortet von Manndat.


3. Was ist der Schwerpunkt ihrer Arbeit?
Jungen- und Männerdiskriminierungen bekannt machen, Politik und Presse dafür sensibilisieren und im Idealfall beseitigen.““

5. Welche drei Aktionen/Erfolge aus der Vergangenheit sehen Sie als ihre bedeutendsten an?

Durchsetzung des gleichen Alters für Männer und Frauen bei der Hautkrebsvorsorge (vorher Frauen mit 30 Jahren, Männer mit 45 Jahren, obwohl im Alter von 30 bis 45 deutlich mehr Männer an Hautkrebs erkrankten als Frauen: Jetzt beide mit 35 Jahren. Da war MANNdat die einzige Stelle, die das thematisiert hat).
Einführung eines bundesweiten Boys-Day und eines Männergesundheitsbericht (Da war MANNdat nicht die einzige Organisation, die sich dafür eingesetzt hat, aber mit Protestschreiben, Forderungen an zahlreiche Politiker und Petitionen aktiv.)
Das erste und lange Zeit einzige bundesweite Jungenleseförderprojekt: Die Jungenleseliste, die von Lehrkräften, Büchereien und Institutionen (auch international von der Karibik bis St. Petersburg) nachgefragt wird und bei der sich Verlage sich um Erwähnung entsprechender Bücher mit Rezensionsexemplaren bewerben.“


Aha. Es geht also um auf Jungen und Männer spezialisierte Arbeit, um Jungenförderung, Männerförderung, Abbau von Diskriminierungen von Jungen und Männern, Männergesundheit und den Boys Day. Das kommt mir alles ziemlich bekannt vor (Kleiner Tipp: Man ersetze Jungen und Männer durch Frauen und Mädchen).


Der Maskulismus unterscheidet sich nicht von dem von ihm so gerne und hart kritisierten Feminimus. Das ist nicht schlimm, es ist völlig okay, nur sollte man sich dann nicht erheben und behaupten, man selbst würde irgendwie allgemeinere, humanistischere, weniger spezialisierte Ziele verfolgen und die Spezialisierung auf Frauen wäre sozusagen der Sündenfall des Feminismus.

Spezialisierung verboten!? Kritik an der Kritik an Plan Deutschland

Auf dem Blog Geschlechterallerlei hat Gerhard eine Kritik an der Hilfsorganisation Plan veröffentlicht, die ich so nicht stehen lassen kann.


Seine Kritik bezieht sich dabei im Wesentlichen auf zwei Punkte:
1. „(…)“Plan International Deutschland e.V.” (ist) ein Verein, der sich vorgeblich um benachteiligte Kinder in der dritten Welt kümmert, tatsächlich aber gerne mit Aktionen und Werbung auffällt, die fast ausschließlich Mädchen im Fokus haben.“
2. Der zweite Punkt wirft PLAN vor, ein Konzept von „toxischer Männlichkeit“ zu vertreten und macht das an einem Antwortschreiben von Plan fest, in dem zu lesen ist:
„Viele Jungen lernen während ihrer Sozialisation, was von ihnen erwartet wird, um später als „richtiger Mann“ in der Gesellschaft anerkannt zu werden. So wird ihnen zum Beispiel vermittelt, dass sie keine Schwäche oder Gefühle zeigen sollen, dass Mädchen und Frauen weniger wert seien als sie selbst, und dass sie als Jungen und Männer Macht über sie haben. Dabei haben diese stereotypen Rollen oft wenig mit den eigentlichen Interessen der Jungen zu tun und halten viele von ihnen davon ab, ihr volles Potential zu entfalten.
Mehr Gleichberechtigung trägt hingegen dazu bei, dass sich Jungen von überholten Männlichkeitsrollen verabschieden dürfen. Wird es ihnen beispielsweise erlaubt, auch ihre Gefühle, Zweifel und Unsicherheiten auszudrücken, dann wirkt sich dies meist positiv auf ihre Beziehungen zu anderen aus.“


Ich möchte zunächst auf Punkt 1 eingehen, den Vorwurf „fast ausschließlich Mädchen im Fokus“ zu haben. Tatsächlich hat sich Plan, das ist offensichtlich, in einigen Bereichen (v. a. Bildung) auf Mädchenprojekte spezialisiert. Nur möchte ich an dieser Stelle fragen „und weiter?“


Alle, ja tatsächlich alle Hilfsorganisationen sind spezialisiert. Die einen auf alte Menschen, die anderen auf Kinder in Peru, China oder Indien, die dritten auf Menschen mit Down-Syndrom. Die einen bauen ein Krankenhaus in einer Stadt in Afrika, die anderen Brunnen in einer Wüstenregion. Die einen betreuen alte Menschen in Polen, die anderen setzen sich für die Vergabe von Mikrokrediten an Bauern in Indien ein. Von den Tier-Projekten, die sich für Straßenhunde in Bulgarien oder Griechenland oder gegen Stierkampf in Spanien einsetzen, ganz zu schweigen.


„Und weiter?“, also. Möchte man all diesen Organisationen vorwerfen, sich spezialisiert zu haben?

„Warum alte Menschen, jungen Menschen geht es auch schlecht! Ihr seid feindlich gegenüber jungen Menschen!“ „Warum bitte nur Ostafrika? Hallo, Menschen in Asien geht es auch schlecht! Rassisten!“ „Ein Krankenhaus für Stadt A wo in Stadt B doch auch eins fehlt? Typisch!“ „Was, ihr setzt euch für Kinder ein, wo es Alten doch ebenso mies geht? Altenfeindlich!“ „Hallo, Tierschutz? In Afrika verhungern Kinder und ihr habt was gegen Tiertransporte? Geht‘s noch? Menschenfeindlich!“


Die Spezialisierung auf ein Geschlecht ist, betrachtet man die Geschichte westlicher Hilfsorganisationen, sogar eher die Regel als die Ausnahme. Gerade im kirchlichen Kontext, von dem die Hilfe in der sogenannten „3. Welt“ ursprünglich ausgeht, ist eine solche Spezialisierung Usus. Frauenorden, wie die Armen Schulschwestern oder die Schwestern vom guten Hirten, kümmern sich eher um Mädchenbildung und Frauenprojekte, Männerorden, wie die Salesianer oder die Jesuiten, eher um Jungenbildung und um Männerprojekte.


Es ist also gelinde gesagt, albern, Plan Deutschland die Spezialisierung auf Mädchen vorzuwerfen. Interessant in diesem Kontext: Da erregen sich Männerrechtler. Nicht Humanisten, nicht Menschenrechtler, nicht Lebensrechtler. Öhm. Was nun? Spezialisierung ist schon okay, aber bitte nicht auf Mädchen?


Kommen wir zu Punkt zwei: Die Aufregung um die Antwort von Plan Deutschland und das angeblich darin vertrene Konzept einer „toxischen Männlichkeit“. Finde ich sehr interessant. Denn gerade Männerrechtler erklären ja oft, wie sehr ihnen traditionelle Männlichkeitsvorstellungen schaden würden (z. B. im Kontext Wehrpflicht). Das spricht Plan an. Und weiter? Im Folgenden wird dann sogar thematisiert, dass Jungen bei der Kinderarbeit den größeren Anteil stellen, was eben genau mit tradierten Männlichkeitsvorstellungen zu tun hat (der Mann sorgt für die Ernährung der Familie, die Frau für Haushalt und Kinder). Trotzdem unterstellt man einfach pauschal Männerfeindlichkeit. Dabei sagt Plan im obigen Zitat letzten Endes genau das, was auch Männerrechtler sagen: Traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit (und Weiblichkeit) können zur Benachteiligung von Jungen und Männern (sowie Frauen und Mädchen) führen.


In diesem Zusammenhang gibt es dann auch Kritik an folgender Aussage von Plan „Mädchen stehen in vielen Ländern dieser Welt immer noch immer im Hintergrund. Sie werden benachteiligt, diskriminiert und sind Gewalt oft schutzlos ausgeliefert.“
Und schon wieder möchte ich fragen „Und weiter?“ Was genau ist nun skandalös an dieser Aussage? Dass Frauen und Mädchen in vielen Ländern weltweit tatsächlich nicht gleichberechtigt sind, dass Mädchen vielerorts Bildung vorenthalten wird, weil bei niedrigen Ressourcen diese lieber in die Bildung der Söhne investiert wird, dass weibliche Föten abgetrieben bzw. weibliche Babys und Kleinkinder getötet werden und weiblichen Kindern Nahrung sowie ärztliche Versorgung (z. B. Indien, Afghanistan) vorenthalten wird, dass sie häufiger von Kinderprostitution betroffen sind, all das ist bekannt. Was genau soll falsch daran sein, eben dies anzusprechen und sich dagegen zu engagieren?


Zum Schluss noch eine kleine Anmerkung: In den Kommentaren meldete sich eine offenbar interessierte Frau mit einigen Fragen und Anmerkungen. U. a. fragte sie, als ihr die höheren männlichen Opferzahlen vorgehalten wurden, nach dem Geschlecht der Täter. Daraufhin erfolgte diese Reaktion „Wenn es Dir also um Menschenrechte geht, geht es Dir auch um diese Opfer. In diesem Zusammenhang nach dem Tätergeschlecht zu fragen ist ziemlich kontraproduktiv und wird Dir entsprechende Gegenreaktionen einbringen.“


Aha. Das Opfergeschlecht ist also relevant, das Tätergeschlecht dagegen nicht. Man sollte doch meinen, wenn es nur um „Menschen“ geht, dass dann auch das Geschlecht der Opfer nicht relevant wäre. Oder, wenn die Kriminalstatistiken eben doch nach Geschlecht differenziert gelesen werden, die Frage nach den Tätern keine unerhebliche ist.


Ich sehe hier ein großes und bekanntes Problem der maskulistischen Bewegung (fällt auch beim Thema Gewalt versus häusliche Gewalt immer wieder auf): Eine nach Geschlecht differenzierte Haltung wird immer nur genau dann gefordert, wenn diese Männer positiv und Frauen negativ herausstellt. Ist es dagegen umgekehrt, findet man das Geschlecht plötzlich „unwichtig“ und man solle sich doch bitte auf Menschen und nicht auf Geschlecht beziehen.


Alles in allem: much ado about nothing. Ein leider undifferenzierter, einseitiger und anscheinend unüberlegter Artikel.

Rebell Gottes – Der heilige Martin von Tours

Der heilige Martin ist mittlerweile die Verkörperung einer recht betulichen Vorstellung von Nächstenliebe. Irgendwie diffus findet man ihn sympathisch, diesen Mann, der da in einer bitterkalten Winternacht seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hat. Schön darzustellen, ein Almosengeber, nett, ungefährlich, sympathisch.

Nur war der heilige Martin weder nett noch ungefährlich. Er war vielmehr jemand, der Jesus radikal nachfolgte. Und auch Jesus selbst war, auch wenn er immer mal wieder anders dargestellt wird, kein freundlicher Mann, der ab und an „nun habt euch doch alle lieb“ lispelte. Im Gegenteil, er war wütend, er schalt und kritisierte, er begehrte gegen die Obrigkeit auf, gegen die religiösen und politischen Führer des jüdischen Volkes, die es sich allzu bequem gemacht hatten in ihrer kleinen Welt, die zwar auf die punktgenaue Ausübung von Ritualen pochten, aber ansonsten nicht auf den „Bodensatz“ ihres Volkes achteten sondern auf den eigenen Vorteil bedacht waren. Und das kostete ihn letztlich das Leben.


Der heilige Martin kritisierte ebenso radikal die Entwicklung in der erstarkenden Kirche des 4. Jahrhunderts nach Christus. Die Neigung zu Prunksucht und Machtmissbrauch, die zunehmende Hierachisierung: Er selbst predigte ein Leben in Armut und Demut nur vor Gott. Er, der gewählte (ja, damals wurden Bischöfe noch gewählt) Bischof von Tours provozierte seine Amtskollegen mit demonstrativer Armut. Er weigerte sich, die kostbaren Bischofsgewänder zu tragen, er geißelte die Angewohnheit vieler Kollegen, in prunkvollen Häusern zu leben. Er wollte „ganz unten“ bei den Menschen sein, selbst oder eigentlich gerade als Bischof.

Im Prinzip war bereits seine Mantelteilung eine mutige Provokation, denn was er da tat, war, als Angehöriger der Herrschenden, der römischen Armee, deren Eigentum an einen Angehörigen der Beherrschten (der ortsansässigen Bevölkerung) zu verschenken. Er verweigerte am Abend vor einer wichtigen Schlacht die Gefolgschaft und entkam nur mit Glück (oder Gottes Hilfe?) der Todesstrafe dafür.


Er unterstütze den als ersten Häretiker der kirchlichen Geschichte getöteten Bischof Priscillian von Avila, der ein Leben in strenger Askese, eine starke Beteiligung der Laien, die Gleichberechtigung der Frauen sowie die Abschaffung jeglicher Form der Sklaverei forderte. Nach dessen Hinrichtung verweigerte Martin den beteiligten Bischöfen das gemeinsame Abendmahl und verurteilte sie in mehreren Schriften scharf.


Martin war jemand, den Ungerechtigkeit rasend machte, er war wie Jesus Christus ein mutiger Mann, ein wütender Mann, jemand, der seine Ideale radikal lebte. Warum er, im Gegensatz zu Priscillian (und Jesus Christus) überlebt hat, mag der Tatsache geschuldet sein, dass er viele Anhänger und auch mächtige Freunde hatte (die hatte Priscillian allerdings auch) oder aber er hat es geschafft, auf eben der Grenze zwischen Provokation und Anpassung zu balancieren, die sein Verhalten gerade noch so eben tolerabel machte. Denn: Wenn man sich die Geschichte vieler Heiliger ansieht, gibt es wenige, die dem Bild von frommen und darum sanften Menschen entsprechen. Viele von ihnen, sind radikale Kritiker kirchlicher und weltlicher Machtstrukturen. Die Grenze zwischen Heiligem und Ketzer ist oft genug hauchdünn bis kaum vorhanden.

„Die hat sich das doch nur ausgedacht – und wenn nicht … sowas hält man doch aus“

So, die geschätzten Leser meines Blogs werden heute gleich mit zwei Artikeln beglückt ;-). Dem, den ich ursprünglich geplant hatte (der heilige Martin von Tours) und eben diesem.

Grund ist dieser Artikel, über den ich gestern gestolpert bin. Eine Redakteurin beschreibt, wie sie nach Entzug ihres Führerscheins in einem Kurs zur Wiedererlangung desselben gelandet ist und daraufhin als einzige Frau und einzige Akademikerin einem verbalen Spießrutenlauf ausgesetzt war.


Die Reaktionen sind so vorhersehbar wie unangebracht und setzen sich wie folgt zusammen:

1. Die hat sich doch das nur ausgedacht

2. Die ist männerfeindlich, weil sie beschreibt, was ihr passiert ist

3. Wer wird sich denn über solche Klinkerlitzchen aufregen? Sowas hält man aus und gut ist. Nur die Harten kommen in Garten. Oder so.
Nun hat die Autorin des Artikels mitnichten geschrieben „alle Männer sind Schweine“ , sondern sogar ganz gezielt darauf hingewiesen, dass es sich wohl um eine Art von Frustmobbing handelte, in der gezielt die einzige „andere“ Person zu einem Ventil für aufgestauten Ärger und Angstgefühle wurde. Warum dann also diese Reaktionen?


Beim ersten Punkt handelt es sich recht eindeutig um einen Vertreter der sogenannten „Heile Welt“-Gedanken. „So etwas darf nicht sein, also kann es nicht sein, sonst passt mein Weltbild nicht mehr und es könnte vielleicht auch mir passieren“. Reflexartiges Abwehren alles Unangenehmen also, aus einer Art falsch verstandenem Selbstschutz heraus. Und leider etwas, was Opfern von Mobbing oder Opfern von Verbrechen gerne unterstellt wird.


Beim zweiten Punkt, der einem immer wieder begegnet, muss ich persönlich ziemlich schlucken. Wie gesagt, die Autorin hat mitnichten geschrieben „Alle Männer sind scheiße“ oder etwas in der Art, sondern ein persönliches höchst unangenehmes Erleben geschildert. Dass hier gleich pauschalisiert wird und „Männerfeindlichkeit“ unterstellt wird, ist ungefähr so abstrus wie Menschen, die beschreiben, wie sie als Kinder von ihren Eltern misshandelt wurden, „Elternfeindlichkeit“ zu unterstellen. Seien wir mal ehrlich: In jeder Gruppe gibt es ein gerüttelt Maß an Menschen, die sich falsch, unsozial oder verletzend verhalten – vermutlich kann das sogar jeder von uns in bestimmten Situationen. Das zu thematisieren, ist völlig legitim und ein Redeverbot für die Opfer solchen Verhaltens absolut unangebracht. Unmögliches Verhalten sollte als solches benannt werden.


Der dritte Punkt fällt unter Verharmlosung: „Sind die zu hart, bist Du zu schwach“. Das ist etwas, was man Mobbingopfern gerne unterstellt. Sich eben nicht „richtig“ zu wehren. Zu empfindlich zu sein. Keinen Spaß zu verstehen. Nun ist es eben aber nicht lustig, alleine einer Meute (Mob) ausgeliefert zu sein. Da kann man hart sein wie man will, Spaß verstehen wie man möchte. Warum genau sollte jemand persönliche und beleidigende Angriffe stillschweigend aushalten oder gar „lustig“ finden? Einen vorstellbaren Grund dafür, außer Täterschutz, gibt es nicht.