Nachdem ich soeben die Kommentare unter der aktuellen Kolumne von Jan Fleischhauer gelesen habe, möchte ich ein im letzten Kommentarstrang angeschnittenes Thema noch einmal vertiefen. Denn unter besagtem Beitrag von Jan Fleischhauer zum Fall Gina Lisa Lohfink sammelten sich (neben den obligatorischen hässlichen „selbst schuld, wer sich so präsentiert“-Kommentaren) wieder jene Stimmen, die letztlich sagen „die Justiz / die Staatsanwaltschaft / das Gericht hat das so ermittelt / entschieden, also wird’s schon passen, man muss halt ein bisschen Vertrauen haben.“
Drrrrrrrrrrrrrrr, einmal zurückspulen bitte. Wir erinnern uns an den Fall Jörg Kachelmann. Und an das extreme Misstrauen damals gegenüber der Justiz. Ich habe beide Fälle recht intensiv verfolgt und bin mir sehr sicher, dass es oft dieselben Kommentatoren waren bzw. sind, die damals lautstark verkündeten, Staatsanwaltschaft und Gericht wäre aus Prinzip nicht zu trauen, die sich sogar zu recht wüsten Anschuldigungen hinreißen ließen und die nun plötzlich „aber die Staatsanwältin / das Gericht / die Justiz hat doch …“ rufen bzw. schreiben.
Das finde ich sehr interessant. Offenbar gilt Misstrauen gegenüber der Justiz nicht immer. Und seeliges Vertrauen in die Justiz auch nicht immer. Sondern eben dann, wenn es in die eigene Agenda passt.
Wir spulen noch einmal zum Fall Kachelmann zurück: Damals gab es teilweise v. a. gegen die ermittelnden Staatsanwälte geradezu unglaubliche Anschuldigungen bis hin zu Drohungen und Veröffentlichung von Adressen (ich verstehe bis heute nicht ganz, warum sich die Staatsanwälte nicht juristisch zur Wehr gesetzt haben, aber vermutlich stand der Aufwand nicht für). Während heute dazu aufgerufen wird, der Justiz doch „bitte zu trauen“ und sie „machen zu lassen“ (man hätte sich solch mäßigende Stimmen ja auch damals manchmal gewünscht, wenn gegen Staatsanwaltschaft und Gericht wüst angeschimpft wurde, seltsamerweise aber blieben sie aus ^^).
Fest steht: Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte sind Menschen. Oft sind sie (massiver Personalmangel seit Jahren!) sehr übearbeitet und müssen quasi innerhalb von Minuten über einen Fall entscheiden. Sie können Fakten auf eine bestimmte Art und Weise bewerten (beispielsweise gibt Hinweise, dass Richter, die selbst Mieter sind, eher zugunsten der Mieter entscheiden und es gibt Studien, die zeigen, dass müde Richter eher zu ungunsten des Angeklagten entscheiden und hungrige Richter härtere Urteile fällen). Und schließlich sind Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte eher selten hellseherisch begabt. Sie sitzen oft vor einem Wust an Aussagen, Indizien, Ermittungsergebnissen und müssen sich darauf (und rasch, wie gesagt) einen Reim machen. Natürlich kann ihre Einschätzung der Sachlage letztlich auch falsch sein.
Insofern ist es durchaus sinnvoll und in einem Staatssystem wie dem unsrigen, also einer Demokratie, auch absolut gewollt (Stichwort „Öffentlichkeit“!), nicht alles zu glauben oder hinzunehmen nur weil es eine „Amtsperson“ so gesagt oder beschlossen hat. Auf der anderen Seite sind extreme Angriffe, wie ich sie damals im Fall Kachelmann gelesen habe, auch völlig fehl am Platze. Nicht hinter jeder Entscheidung eines Staatsanwaltes oder Richters steckt eine Verschwörung ^^ (wer hier ein wenig böse Ironie findet, darf sie gerne behalten). Und sogar selten böse Absichten. Zumeist hat der Staatsanwalt oder Richter eben so entschieden, wie er oder sie es für richtig hielt. Diese Entscheidung kann natürlich dennoch falsch oder fehlerhaft sein. Das aber rechtfertigt weder wüste Angriffe noch generelles Misstrauen in Richtung Verschwörungstheorien. Genausowenig wie es angebracht ist, alles unhinterfragt hinzunehmen.