Syrien und kein Ende

Die letzten Tage lese ich immer wieder Appelle dafür, jetzt bezüglich Syrien doch endlich mal „auf die Straße“ zu gehen. Andere beklagen, ganz ähnlich, die tatsächliche oder angebliche Teilnahmslosigkeit der Menschen in Deutschland. Ton in etwa „Wie kann man so weiterleben in Deutschland bei dem, was in Syrien geschieht?“

Ich bin ja prinzipiell ein Mensch, der durchaus dazu bereit ist, für seine Überzeugungen auch auf die Straße zu gehen. Aber im Falle Syrien frage ich mich ganz ernsthaft: Für wen oder was denn?

Allgemein irgendwie für den Frieden? Da die Perspektiven völlig fehlen, wäre das eine bloße nette Worthülse.

Für eine der Gruppierungen im Bürgerkrieg, auf der einen Seite Baschar al Assad, der Iran und Russland, auf der anderen Seite diverse, zum Großteil islamistische und dschihadistische Gruppierungen? Wohl kaum!

Für eine militärische Intervention des Westens? Der Irak und Libyen zeigen, wohin das führt. Und wie wenig so ein Eingreifen offenbar die Situation verbessert, wie sehr es sogar dazu geeignet ist, die Situation zu verschlechtern.

Es gibt keine Perspektive, keinen Wert, wofür man auf die Straße gehen könnte. Selbst diejenigen, die solche Appelle aussprechen oder weiterleiten, haben sichtbar und ganz offensichtlich überhaupt keine Ideen, was genau dort geschehen soll.

Und so lange wird sich auch keiner engagieren. Nicht aus Desinteresse, sondern einfach, weil die Perspektiven und Lösungsmöglichkeiten völlig fehlen.

 

 

8 Gedanken zu “Syrien und kein Ende

  1. Man bekundet Interesse, und erzeugt Aufmerksamkeit. Das kann bewirken, dass sich andere mit einer Sache befassen, und mehr Mittel einsetzen. Dazu braucht man selbst weder das Wissen um die richtige Lösung, noch die Mittel um sie direkt umzusetzen.

    Like

    1. Wessen Aufmerksamkeit will man denn erregen? Die der USA, damit sie eingreifen (keine gute Option)? Alle anderen schauen ohnehin schon ziemlich ratlos nach Syrien und keiner hat Lösungen. Es ist ziemlich fatal, ohne Ziel wahllos irgendwie Aufmerksamkeit erzeugen zu wollen.

      Gefällt 1 Person

      1. Wenn du annimmst, dass sich Probleme durch Intervention (weit gefasst) lösen lassen, und zudem dass Ressourcen begrenzt sind, sowie dass es in unserem System um Interessen der „Mitglieder“ geht, würde das Sinn machen. Vorrangig geht es um die Aufmerksamkeit des Staates, daneben um philanthropische Gruppen, und Individuen, sowie mitunter um Unternehmen.

        Was mich wundert ist, dass es Dinge wie einen pay-gap Tag gibt, einige von dessen Vertreter aber einen „Syrien Tag“ ablehnen. Beides sind komplexe Phänomene, beide Male geht es um Aufmerksamkeit („consciousness/awareness raising“) und um irgendwelche (staatlichen) Interventionen.

        Meiner Einschätzung nach war der Versuch, Machthaber auszuschalten, und „Demokratien zu installieren“ fehlgeleitet.

        Like

      2. Wenn es einen Syrien-Tag gibt, müsste es auch einen Jemen-Tag, einen Kongo-Tag, einen Sudan-Tag, einen Afghanistan-Tag, einen Nigeria-Tag, einen Ukraine-Tag, einen Kaschmir-Tag, einen Libyen-Tag … geben (vermutlich bald auch einen Türkei-Tag). Das wäre doch ein Betätigungsfeld für dich?

        Gefällt 1 Person

      3. Oder – und – andersherum: keinen equal-pay day.

        Ich schätze es, dass du dabei an mich denkst. Allerdings fehlt mir die moralische Standhaftigkeit. Bei endlicher Zeit bist du bezaubernder als das.

        Like

  2. Es hört sich ziemlich fatalistisch an, aber ich teile deine Resignation bzgl. der Situation in Syrien.
    Ich sehe dort keine relevante Gruppe, die ich guten Gewissens unterstützen könnte. Mein Verdacht ist, dass es allen Beteiligten von Anfang an nicht darum ging, mehr Demokratie und Freiheit zu erreichen, sondern vielmehr darum, die Diktatur der jeweils eigenen Ideologie zu errichten.
    Im Rückblick wäre es vermutlich, auch aus Sicht des Westens, der beste Weg gewesen, Assad zu unterstützen um wenigstens die staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Inzwischen ist leider auch dafür zu spät.
    Im Gegenzug gibt es eine Menge Dinge hier bei uns, für die es sich lohnt, auf die Straße zu gehen, und bei denen wir auch eine Chance auf Einfluss haben. Fangen wir mal damit an, gegen chauvinistische, rassistische und freiheitsfeindliche Bewegungen hier in Deutschland zu demonstrieren, oder für ein demokratisches und liberales Europa, oder gegen die zunehmende wirtschaftshörigkeit mancher Politiker, oder für den Vorrang individueller Lebensgestaltung gegenüber Wirtschaftsinteressen, oder, oder …

    Like

    1. „Mein Verdacht ist, dass es allen Beteiligten von Anfang an nicht darum ging, mehr Demokratie und Freiheit zu erreichen, sondern vielmehr darum, die Diktatur der jeweils eigenen Ideologie zu errichten.“

      Das ist auch mein Eindruck. Zumal die größten der Rebellengruppen von Saudi-Arabien unterstützt werden (die nebenbei im Jemen fröhlich vor sich hinmorden und keinen interessiert es).

      Für unterstützenswert halte ich immerhin die Sache der Kurden. Sie haben im Nordirak gezeigt, dass sie in der Lage sind, ein friedliches, stabiles und recht pluralistisches Staatsystem aufzubauen. Aber das wäre allenfalls für einen Teil Syriens eine Lösung.

      Like

  3. Vor über zwanzig Jahren wurde Sarajevo jahrelang belagert. Vor unsere Haustür.
    In Guatemala war 25 Jahre lang Bürgerkrieg.
    Der Unterschied zu Syrien? Damals gab es kein Twitter, kein Streaming, keine globale Vernetzung durch Facebook und co.
    In Nord-Korea gibt es Menschen, die im KZ geboren werden und ihr ganzes Leben dort verbringen. Ihr einziges Verbrechen: ihre Eltern wurden verurteilt. Aber auch dort gibt es kein Twitter…
    In Syrien können wir nicht so leicht wegschauen. Ändern können wir aber auch nix…

    Like

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.