Bisexuelle? Sind das nicht die, die alles vögeln?

Okay, das hier wird ein sehr persönlicher Artikel, weil es ein Thema ist, mit dem ich selbst lange gerungen und gehadert habe.


Bisexuelle*, also. Das Thema hat, gemessen an Themen zu Hetero- und Homosexualität, anscheinend wenig gesellschaftliche Relevanz. Bisexualität wird selten thematisiert, selten erforscht und selten beschrieben.
Und wenn doch, dann auf denkbar klischeehafte Art und Weise. In Filmen, selbst wenn es so gute sind wie „better than chocolate“, sind Bisexuelle meist sexuell extrem freizügige Menschen, die irgendwie „alles“ nehmen. In Pornos sind sowieso alle Frauen bi, die Männer allerdings nie (zumindest kenne ich keinen einzigen Fall).


Entsprechend fallen die Reaktionen aus: Bei heterosexuellen Männern oft ein anzügliches Grinsen und „Cool, ich wollte schon immer mal nen Dreier“, bei heterosexuellen Frauen oft ein ängstliches Gesicht der Sorte „Sie will mich doch jetzt hoffentlich nicht anmachen“, bei homosexuellen Männern oft ein freundlich gemeinter Spruch der Sorte „Ach, Du wirst dich schon noch finden“, bei homosexuellen Frauen oft ein genervtes „Nichts gegen dich, aber bi geht einfach gar nicht“. Bei konservativen Personen meist ein „Igitt“.


All das trifft es nicht. Weder sind Bisexuelle allzeit bereit oder nehmen alles, was nicht bei 3 auf den Bäumen ist, noch sind sie prinzipiell auf der Suche nach ihrer „wahren Identität“, wie es von schwulen Männern wohl teils vermutet wird (so zumindest meine Erfahrung). Die lesbische Reaktion verstehe ich teilweise, weil es einfach nervt, von echten oder pseudo bisexuellen Frauen angemacht zu werden, der Art „Mit ner Frau ist ein Seitensprung okay, sagt mein Mann“ oder „Darf mein Freund dann auch mal zugucken?“. Solchen „Bisexuellen“ könnte ich, ganz pragmatisch, manchmal echt eine reinhauen, weil sie offenbar 0 Feingefühl haben und massiv dazu beitragen, dass unser Image derart schlecht ist.


Nun werden mich Leser mit Sicherheit auf Studien aufmerksam machen, die für bisexuelle Menschen eine höhere Anzahl an Sexualpartnern ausgemacht haben, als für heterosexuelle. Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung gegenhalten, aber ich verwette meinen linken Fuß darauf, dass diese Zahlen wesentlich dadurch bedingt sind, dass Personen, die selbst eher konservativ sind oder in einem solchen Umfeld wohnen, sich in solchen Umfragen nicht als Bisexuelle „outen“.


Ich kenne das von mir selbst. Aufgewachsen in konservativ-katholischem Umfeld, wusste ich eigentlich irgendwie schon immer, dass ich nicht auf ein Geschlecht festgelegt bin. In ganz jungen Teenie-Jahren war das kein so großes Problem, weil der Umgang mit dem eigenen Geschlecht da noch bei sehr vielen ein bisschen in die Richtung „ich bin fast verknallt in meine BF“ ging. Trotzdem habe ich, wie die anderen Mädchen, „richtig“ nur über Jungs gesprochen, bin zurückgeschreckt, als mich mal ein anderes Mädchen in meinem Alter offen angemacht hat (gut, sie war auch nicht mein Typ). Danach, das war so von 16 bis 22, habe ich mir eingeredet, ich hätte sowas wie „ne Phase“. Ich verliebte mich, wie es in dem Alter eben so ist, öfter mal, in Frauen wie Männer. Und während meine Kommilitoninnen reihenweise für irgendwelche Proffs schwärmten (ja, ehrlich), verliebte ich mich als junge Studentin sehr ernsthaft in eine Professorin** (Himmel, irgendwie puchert es noch heute, wenn ich was von ihr lese). Ich habe damals dann ziemlich viel mit schwulen Männern zum Thema geredet und eigentlich alle bestärkten mich darin, dass ich mich halt „noch finden“ müsse. Irgendwie kam niemand auf die Idee, dass das „so bleibt“. Ist es aber.


Als klar wurde, dass das mit meinem jetzigen Man ne ernste Sache ist, hab ich das Thema innerlich für mich erst mal abgeschrieben. Ich war ja jetzt „hetero“ – zumindest in der Wahrnehmung meiner Umwelt. Ein durchaus angenehmer Zustand. So „normal“ eben. Aber dann kam die „Homo-Ehe“ und in Diskussionen darüber die andauernde provozierende Frage „Könntest du dir denn ernsthaft vorstellen, mit einer Frau zusammen zu leben?“. Habe ich erst nur ausweichend geantwortet, ist meine Antwort mittlerweile ein klares „Ja!“. Das verschreckt viele, v. a. christlich orientierte Personen und das ist ein Scheiß-Gefühl, wenn man es sich in seinem „Hetero-Leben“ schon so schön kuschelig eingerichtet hatte.


V. a. weil keins der Klischees, die dann regelmäßig auf mich einprasseln, auf mich jemals getroffen hat. Ich kann nur mit Menschen ins Bett, die ich liebe. Ich führe ausschließlich längere Beziehungen. Das soll jetzt ausdrücklich KEIN Abwerten promiskuitiver Lebensweisen sein, auf gar keinen Fall. Aber ich bin bi. Und auf mich, wie auf viele andere, trifft das Klischee nicht. Es schränkt mich vielmehr ein. So einfach eben. Und ich bin todfroh um Frauen wie Cara Delevigne, die zeigen, dass wir einfach ganz normale Menschen sind, mit völlig unterschiedlichen Lebensweisen. Nur bi eben. So what?


So, der Artikel ist doch recht lang geworden, und das an einem Mittwoch. Eigentlich wollte ich hier noch was über bisexuelle Männer schreiben, das bekommt ihr dann aber am Sonntag zu lesen.


*In letzter Zeit wird immer häufiger das Wort „pansexuell“ verwendet, um zu zeigen, dass man eben nicht zwangsläufig nur auf männliche oder weibliche Personen steht, sondern auch z. B. auf intersexuelle Personen. Ich gebe zu, der Ausdruck ist mir noch fremd und dabei bleibe ich schlicht beim „alten“.

** Für unsere Klatschherren vom antifeministischen Kaffeekränzchen sei hier noch gesagt „Nein, es war nicht Frau Allmendinger.“ Ich habe tatsächlich nicht nur ein Fach studiert ^^.

13 Gedanken zu “Bisexuelle? Sind das nicht die, die alles vögeln?

  1. Vielen Dank für diesen schönen Artikel über ein meist völlig verkanntes Thema.

    Den Menschen fällt es offenbar sehr schwer, NICHT in fest vorgefügten Kategorien zu denken. Und zwar anscheinend auch solchen Menschen, die aus dem gleichen Schubladendenken heraus bereits von anderen diskriminiert wurden. Siehe dein Beispiel mit den Schwulen, die wohl nur die Kategorien „hetero“ und „homo“ kennen und meinen, du würdest schon noch herausfinden, zu welcher du gehörst.

    Warum muss ich mich denn überhaupt festlegen? Es gibt eben Menschen, die ich sexuell anziehend finde, genauso wie solche, bei denen das nicht der Fall ist. Warum ist es wichtig, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau oder eine andere Gender-Ausprägung handelt?

    So wie ich das sehe, ist jeder Mensch im Grunde pansexuell. Nur haben die meisten eine solch panische Angst davor, nicht mehr in ihre eigenen Kategorien zu passen, dass sie sich das niemals zugestehen werden. Und andere, die damit offener umgehen, werden angefeindet, nur damit man sich diese Selbsteinschränkung nicht eingestehen muss.

    Das ist übrigens auch in anderen (harmloseren) Bereichen so. Ich werde z.B. in meinem Bekanntenkreis immer wieder gefragt, wie das zusammenpasst, dass ich als ehemaliger (Hobby-) Rockmusiker heute (mit viel Freude) im Kirchenchor singe.

    Den Menschen die Kategorien auszutreiben, ist also wahrscheinlich ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.

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    1. „Das ist übrigens auch in anderen (harmloseren) Bereichen so. Ich werde z.B. in meinem Bekanntenkreis immer wieder gefragt, wie das zusammenpasst, dass ich als ehemaliger (Hobby-) Rockmusiker heute (mit viel Freude) im Kirchenchor singe.“

      Cool, ich singe auch im Kirchenchor :-). Bist Du eigentlich auch katholisch? Werde dem Thema Katholizismus nächsten Mittwoch einen Artikel widmen.

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      1. Ich sehe mich als katholisch sozialisierter, protestantisch aufgewachsener Panentheist.
        Ich bete gelegentlich zu Jesus, zu Maria Magdalena und zu Gott, meist mit der Anrede „Herrin“ oder „Mutter“. Und ich glaube an den Heiligen Geist, der überall dort ist, wo Menschen in Liebe und Freundschaft zusammen kommen.
        Alles vermutlich ein wenig gaga, aber so empfinde ich eben.

        Was gewisse Überlieferungen und folkloristische Traditionen der Katholischen Kirche angeht, so wie die Jungfräulichkeit Marias, die (tatsächliche) Wiederauferstehung Jesus, die Unfehlbarkeit des Papstes, die inhärente Sündhaftigkeit der Sexualität, die Verweigerung des Priesteramts für Frauen und noch einiges mehr, mache ich keinen Hehl daraus, dass ich das für Humbug halte und aufs Schärfste ablehne.

        Wenn die christliche Ethik in den Augen der getauften Herrscher auch nur einen Pfifferling wert wäre, hätte es im „Christlichen Abendland“ seit fast 2000 Jahren keinen Krieg und kein Leid mehr geben dürfen.

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      2. Dass du auch im Kirchenchor singst, gefällt mir. Wir sollten uns bei Gelegenheit mal über das Repertoire unserer Chöre austauschen. Würde mich interessieren, was andere so singen 🙂

        Auf deinen Artikel über Katholizismus freue ich mich jetzt schon.

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      3. Immer wieder habe ich das Bedürfnis, Dinge mit einer Frau zu besprechen, so wie mit einer guten Freundin. Der unter vielen Katholiken übliche Weg dafür ist zu Maria zu beten, Jesus‘ Mutter. Aber irgendwie konnte ich mit ihr nie etwas anfangen. Das verklärte Bild der Unschuldigen Unberührten, ja Unberührbaren hat für mich schon immer eine große Distanz erschaffen.

        Irgendwann bin ich dann auf Maria von Magdala gestoßen. Sobald ich mich näher mit dieser Frau beschäftigt hatte, stellte ich fest, dass sie mehr war, als nur eine zufällige Begleiterin Jesus‘. Sie gehörte vielmehr genauso zu seinen Jüngern, wie Simon Petrus. Sie war auch die einzige seiner Jünger, die bis zum bitteren Ende am Kreuz bei ihm blieb. Es gibt auch einige weitergehende Spekulationen zu ihrem Verhältnis zu Jesus.

        Jedenfalls ist diese faszinierende Frau in meiner Vorstellung genau die starke, selbstbewusste und weise Frau, die ich von Zeit zu Zeit als Ansprechpartnerin im Gebet brauche.

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  2. Lieber hataibu,

    die Annahme alle Menschen seien Pansexuell ist genauso abzulehnen, wie die Annahme, alle Menschen seien Hetero- oder Homosexuell. Es handelt sich um eine unzulässige Verallgemeinerung, welche die zugewiesenen Kategorien austauscht, anstatt sie tatsächlich wegzulassen.

    Kuro

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    1. Ich meinte das so:
      Jedem Menschen, egal welcher Kategorie sie/er sich zugehörig fühlt, kann es passieren, dass sie/er sich von einer Person angezogen fühlt, die nicht in seine übliche Zielgruppe passt.

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  3. Alle stimmt wahrscheinlich auch nicht. Ich glaube aber auch, dass der Anteil sehr hoch sein könnte. Es gibt durchaus Studien, die von um die 30 % der Bevölkerung ausgehen.

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  4. „Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung gegenhalten, aber ich verwette meinen linken Fuß darauf, dass diese Zahlen wesentlich dadurch bedingt sind, dass Personen, die selbst eher konservativ sind oder in einem solchen Umfeld wohnen, sich in solchen Umfragen nicht als Bisexuelle „outen“.“

    Wenn das für Bisexuelle allgemein gilt, dann ist das gegenüber Heteros ja geradezu zu erwarten, denn Sex mit Männern als Mann alleine treibt ja schon die Zahlen sehr stark nach oben, einfach weil der limitierende Faktor des niedrigeren weiblichen Sexualtriebs wegfällt.

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  5. Ich meinte zwar eher, dass konservativ orientierte Personen, zumindest in Beziehungsdingen konservativ (das ist absolut nicht negativ gemeint, ich sehe mich selbst so), vermutlich in Umfragen nicht zu ihrer Bisexualität stehen und so ein verfälschtes Ergebnis, was die Anzahl der Sexualpartner betrifft, entsteht.

    Wobei versteckte Bisexualität eine Erklärung für die stark abweichenden Angaben zu Sexualpartnern bei Frauen und Männern sein könnte. Dass Frauen nur 4 und Männer 7 bis 8 Partner angeben, ist ein merkwürdiges Missverhältnis, dass sich beispielsweise so erklären lassen könnte. Aber vermutlich werden rollenkonforme Antworten (Frauen korrigieren nach unten, Männer nach oben) auch eine Rolle spielen.

    „weil der limitierende Faktor des niedrigeren weiblichen Sexualtriebs wegfällt.“

    Das ist ja nun durchaus umstritten ^^. Daniel Bergner z. B. sieht das deutlich anders.

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  6. „Dass Frauen nur 4 und Männer 7 bis 8 Partner angeben, ist ein merkwürdiges Missverhältnis, dass sich beispielsweise so erklären lassen könnte“

    Ein Teil der Diskrepanz ergibt sich auch aus einem anderen Umstand: wir haben ein paar Frauen, die auf ungewöhnlich hohe Männerzahlen kommen und in den Umfragen schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie die Zahlen bei einer kleinen gruppe verfälschen würden.

    http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00224499709551905

    One of the most consistent and troubling findings in sexuality research is that men report a substantially greater number of sexual intercourse partners compared to women. In a population that is more or less closed and is comprised of approximately equal proportions of men and women, such a finding is illogical. In the current article, I review the primary explanations that have been offered for this gender discrepancy and review the relevant data that exist for each explanation. Afterwards, I present data from two studies in which I further explored the apparent gender discrepancy and factors that may account for it. The first study involved a sample of college students (N = 324), whereas the second study was based on a nationally representative sample of adults (N = 2,524; 1994 General Social Survey, Davis & Smith, 1994). In Study 1, accounting for a lack of inclusion of casual sex partners and for self‐rated dishonesty in reporting did not affect the gender discrepancy in lifetime number of sex partners, whereas correcting for the ratio of men versus women on campus did to a small degree. Only correcting for self‐rated inaccuracy eliminated the gender discrepancy. In Study 2, removing those respondents who had participated in prostitution reduced the gender discrepancy somewhat. However, the gender discrepancy appeared to be driven primarily by men’s greater tendency to report large, “round” numbers of partners. The results are discussed with regard to possible explanations for greater distortion in men’s estimates of lifetime sex partners compared to women’s estimates, directions for further investigation are suggested, and recommendations are provided for researchers who ask respondents to report lifetime number of sex partners.

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